10.3.2024

Zwei Flaschen Vagabund

Ohne eigenes Gut macht Jochen Fleischmann Wein aus verschiedenen Weinbergen in Europa und wir probieren einen Riesling Bredullje von der Mosel sowie einen Grünen Veltliner SMRGD aus der Wachau.

Wir wissen alle, warum ich diese beiden Flaschen gekauft habe. Ich mein, da reitet einer auf dem Gockel übers Label. Mit Hut. Wie soll man das nicht kaufen. Gleichzeitig ist die Kombination aus Riesling aus dem Zeltinger Himmelreich an der Mosel und grünem Veltliner aus der Wachau in Österreich vom gleichen Produzenten ziemlich wild. Jochen Fleischmann macht seit 2019 unter dem Namen Vagabund Wein aus verschiedenen Ecken in Europa. Nachdem nach einer Ausbildung in Geisenheim ein Generationenkonflikt die Übernahmepläne des elterlichen Weinguts durchkreuzte, fing Jochen nochmal von Null an. Jetzt macht er Wein mit möglichst wenig Eingriff von Weinbergen, die er spannend findet. Winzige Mengen sind das. Vom Riesling Bredullje 2020 existieren gerade mal 800 Flaschen und vom grünen Veltliner SMRGD 2021 sogar nur 500. Der Riesling ist sowieso speziell, denn eigentlich sollte der ein restsüßer Kabinett werden, der dann aber einfach durchgegoren ist. Er kam dann mit einem Fünftel maischevergorenem Anteil zusammen für ein Jahr ins Fass und dann auf die Flasche und hat trotzdem nur 9,5% Alkohol. Der Veltliner hält außerdem den neuen Rekord für die härteste Wachskapsel, die mir je begegnet ist. Die wollte ich dann mit einem Buttermesser abbröckeln, bin abgerutscht und schön einmal vorne am Daumen vorbei. Kein guter Start, der es aber hoffentlich wert war.

Der Riesling ist ziemlich geradeaus. Fast ein bisschen karg und dabei sehr typisch Riesling in der Nase. Steinobst und Stein, Zitrus dahinter und man erahnt den Anteil Maischevergärung noch weiter im Hintergrund. Beim Trinken dann super knackig, da ist grüner, gerade so reifer Apfel und Zitrus. Lang ist das und Zug hat das. Man kann den Wein einfach so weg trinken. Die gelbe Zitrusfrucht wird mit Luft immer mehr Orange und es wird wilder. Das gefällt mir richtig gut.

Und am zweiten Abend geht die Entwicklung so weiter. Es ist noch saftiger und noch ein bisschen wilder geworden. Man spürt den maischevergorenen Anteil etwas mehr, da ist einfach mehr Struktur, mehr Dreck. Beim Trinken fühlt es sich an, als würde man Limette direkt auf die Zunge pressen, da sind Kräuter und weiter der Apfel. Dass das ein Unfall war und eigentlich gar nicht so werden sollte, fällt mir schwer zu glauben. Es ist einfach zu gut dafür und vielleicht sollte die Hefe jedes Jahr voll durchziehen. Mit jedem Moment an der Luft macht der Wein mehr auf, wird noch ungestümer, hefiger und tatsächlich noch saftiger. Man beginnt zu verstehen, warum er da auf einem Gockel durchs Bild reitet. Das passt sehr gut.

Im SMRGD ist direkt nach den Korken ziehen erstmal nicht viel außer Eisbonbon. Ich mag kein Eisbonbon. Nicht im Wein, und noch viel weniger als Bonbon. Erst verlangt der Wein ein Blutopfer und dann das. Das kann nur besser werden. Trotzdem finde ich spannend, dass der Veltliner so krass danach riecht, verbinde ich Eisbonbon doch eher mit kalt vergorener Aromahefe, die in diesem Wein ganz sicher nicht zu finden sein wird. Gegenüber des Tisches ist der Eindruck übrigens auch so. Es ist also nicht meine Nase, die mir hier einen Streich spielen will. Schwenken hilft aber. Der Wein wird gelber in der Nase, bekommt einen Touch Pfirsich, kann das Bonbon aber nicht ganz ablegen. Beim Trinken ist das anders, da ist direkt der Pfirsich, da ist Würze und Struktur, die sich dann cremig hinten auf der Zunge verabschiedet. Und während sich das auf der Zunge ausruht, verschwindet das Bonbon dann tatsächlich komplett aus dem Geruch. Selten habe ich mal das Gefühl wirklich viel zu früh dran gewesen zu sein mit einem Wein. Aber hier befürchte ich gerade eine komische Phase erwischt zu haben.

Tag Zwei bestätigt das so ein bisschen. Denn nach Eisbonbon riecht da jetzt gar nichts mehr. Die Frucht ist leicht exotisch und steht gleichberechtigt neben der kräuterigen Würze im Wein. Und auch beim Trinken ist da Würze, Salzigkeit und Struktur. Da ist richtig Energie dahinter. Ganz nebenbei ein Beweis, wie egal die Farbe oft ist. Das auf dem Bild ist nämlich nicht gestreckt, der ist tatsächlich so hell. Auch ohne Gegenlicht. Beeindruckend, wie viel besser dieser Wein geworden ist nach einem Tag. Das ist extrem gut jetzt und ich kann nur empfehlen die Flasche entweder direkt in eine Karaffe zu schütten, einen Tag vorher den Korken zu ziehen oder ihn tatsächlich für einige Zeit im Keller zu vergessen. Sonst läuft man in Gefahr so richtig was zu verpassen. Außer man mag Eisbonbon. Dann nimmt man wie wir jetzt einen Schluck direkt. Und kann dann beeindruckt wie wir der Entwicklung folgen, die sicher die krasseste Verbesserung über Nacht seit sehr langer Zeit ist. Ein echtes Erlebnis und eine Flasche für auf den Schrank. Das sieht einfach zu gut aus für den Altglascontainer.

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