Wittmann - Morstein 2019
Wir bleiben in Rheinhessen und trinken vom Weingut Wittmann einen Riesling Morstein aus 2019.

Zugegeben, besonders weit bewegen wir uns geographisch nicht. Aber es passt so gut und deshalb bleiben wir nicht nur noch eine Woche in Rheinhessen, nein wir bleiben sogar in Westhofen. Zu unserem Maxime Open Abschluss im Mundart in Saulheim hatten wir eine Flasche 2016 Chardonnay Reserve von Wittmann. Und weil das wirklich gut war und ich den Riesling heute schon das ein oder andere mal im Auge hatte, muss die Flasche jetzt dran glauben. Für den thematischen Spannungsbogen und für mich. Es hat nicht ganz für die Flaschenreife des Chardonnay gereicht, aber man kann nicht alles haben. Und 2019 sind inzwischen ja auch sechs Jahre.
Heute kennen Rieslingtrinker aus aller Welt den Westhofener Morstein. Und trockener Riesling aus Rheinhessen ist gesucht und erzielt, vom richtigen Winzer aus der richtigen Lage, Spitzenpreise weit jenseits meiner Schmerzgrenze. Das mit dem trockenen Riesling und der Anerkennung der Qualität war nicht immer so und einer, der schon lange daran gewerkelt hat, den heutigen Zustand zu erreichen, ist Philipp Wittmann. Das Weingut Wittmann war früh dabei als es um die Umstellung auf den ökologischen Weinbau ging und arbeitet schon seit Ende der 1980er zertifiziert bio. Philipp Wittmann ist Teil der 1992 gegründeten Initiative Message in a Bottle, die vor allem den Austausch unter den Weingütern fördern und so die Qualität nach vorne bringen soll. Große, trockene Weine. Das war das Ziel, das ist das Ziel. Seit 1999 tragen die Flaschen im Weingut den Traubenadler am Hals. Inzwischen werden die etwa 30 Hektar biodynamisch bearbeitet. Der Riesling dominiert die Fläche und an der Spitze, zumindest wenn man Versteigerungsweine mal außen vor lässt, steht der Morstein. Ein Südhang mit Kalk im Boden. Die Trauben werden spontan vergoren und anschließend im großen, gebrauchten Holzfass zu dem, was dann in der Flasche landet.
Ein bisschen jung vielleicht denke ich mir im ersten Moment. Denn viel passiert da nicht. Gelbe Frucht, ein (vielleicht knallgelbes) Gummiboot schwimmt vorbei, zumindest wenn man lange einatmet, dahinter wird es fest und steinig. Ein bisschen medizinisch sogar. Das ist tief, komplex aber auf so engem Raum zusammengepfercht, dass man fast nicht dran kommt. Etwas künstliche Melone, etwas Steinobst und nicht einmal den Anflug von Reife. Die Säure dagegen, die ist voll da, fruchtig, saftig, mit Zug und Struktur dahinter und einem minimalen Bitterton weit hinten auf der Zunge. Lang ist das, wirklich lang, es bleibt und bleibt und wird dabei cremiger und gelber in der Aromatik. Die Mischung aus fruchtiger Säure und der Textur dahinter trinkt sich wunderschön. Ein Glück, dass der Riesling so lange auf der Zunge bleibt, die Flasche hätte es sonst schwer voll zu bleiben.
Luft hilft schon am ersten Abend, das was man riecht an das Spektakel auf der Zunge anzugleichen. Das Aroma ändert sich gar nicht, aber statt auf einem Bierdeckel tanzt man jetzt auf einer Zeitung. Und es wird mehr. Mehr Frucht, mehr Süße im Duft, mehr Charme. So richtig mithalten kann die Nase trotzdem nicht mit dem was im Geschmack passiert. Hin und wieder sind GGs eher ein intellektuelles Erlebnis, in das man sich, wenn es denn überhaupt gelingt, reintrinken muss. Hier nicht. Ab dem ersten Schluck ist man voll dabei.
Die Zurückhaltung behält der Kühlschrank ein. Intensiv, dicht, mit gelbe Frucht und viel Steinobst startet der zweite Abend. Kräuter, Stein, das Medizinale. Die Säure hat er nicht nur behalten, man meint, sie habe noch einen Tick mehr Zug entwickelt. Kühl, saftig, extrem lang und mit dem kleinen Bitterton ganz weit hinten. Das stört aber nicht, sondern bringt Spannung auf die Zunge. Das Gummiboot ist fast verschwunden jetzt, die Anzahl der Geschmäcker weniger geworden, deren Intensität dafür hat massiv zugelegt. Mehr Fokus am zweiten Tag, kompromissloser, geradliniger. Kräuter, Steinobst, Stein und viel fruchtige Säure. Gut ist das, sehr gut sogar und wird das für eine lange Zeit bleiben.
Einen winzigen Ausblick gibt jedes Glas ganz kurz bevor es leer wird, an dem Moment, an dem man jede Menge Sauerstoff durch den Wein geschwenkt hat. Es wird cremiger, weicher, charmanter. Und schenkt man dann nach, dann schiebt die Säure wieder. Eigentlich wäre das auch noch ein paar Tage länger spannend, aber dafür ist, mal wieder, so eine normale Flasche viel zu klein. Das ist mein erster Morstein, hoffentlich noch lange nicht mein Letzter.