28.12.2025

Zwei Flaschen Naturcidre

Wir trinken wieder Obstschäumer. Dabei starten wir mit Urs Renninger Naturcidre und einer Flasche Palmischbirne Poiré sec 2022 und einer Cuvée Réserve extra-brut 2020.

Auf einem Holztisch stehen zwei Flaschen Obstschaumwein von Naturcidre. Im Hintergrund sind ein Weinglas und ein Bücherstapel zu sehen.

Das Jahr geht dem Ende entgegen, die Weihnachtsvöllerei ist ungefähr halb verdaut und die Magensäure pendelt sich langsam auf normales Niveau zurück. Zwischen den Jahren heißt es ja so schön. Und damit gleichzeitig: Vor Silvester. Unweigerlich bahnt sich demnach die nächste “was trinken wir eigentlich”-Frage an. Und die nächste Völlerei. Bei den Meisten wird zum Jahreswechsel irgendwas mit Blubber auf der Liste auftauchen, zum Essen, zum Anstoßen und überhaupt. Dass wir hier immer öfter vergorene Trauben durch vergorenes Streuobst in den Flaschen ersetzen, dürfte inzwischen keine große Überraschung mehr sein. Inzwischen ist es so ein bisschen Tradition hier geworden, im Januar über den Wein-Tellerrand hinauszutrinken. Gerne mal ganz ohne Umdrehungen, aber mindestens genauso gerne auch mit Apfel, Birne oder Quitte in den Flaschen. Das ziehen wir auch in diesem Jahr durch und fangen damit für den fließenden Übergang einfach schon heute an. Und auch, weil ich der Meinung bin, dass gerade Cider oder Poirée sowieso die besseren Anstoßgetränke zu später Stunde sind. Gewissermaßen das Reparaturgetränk am Abend selber. Und die zweite Flasche Vorneweg oder Zwischendurch ist auch kein Fehler.

Urs Renninger bewirtschaftet im Strohgäu nordöstlich von Stuttgart inzwischen um die 600 Hochstämme für sein Naturcidre Projekt. Hochstamm bedeutet, dass die erste Reihe Äste am Stamm in einer Höhe von ungefähr 160 bis 180 cm ansetzt. Darunter gibt es sogenannte Halbstämme und Erziehungsformen wie Buschbäume, Niederstämme oder Spindeln. Dadurch, dass Hochstämme im Normalfall auf stark wachsenden Unterlagen aufsetzen, werden die Bäume ziemlich groß und aufwändig zu bewirtschaften, da Pflegeschnitt und Ernte ohne Leiter oder im Extremfall Kletterei irgendwann einfach nicht mehr machbar sind. Gleichzeitig ist das die traditionelle Stammform auf den Streuobstwiesen, da sie gleichzeitig noch eine Bewirtschaftung der Wiese selber unter dem Baum erlaubt. Und die landschaftsprägenden Bäume, insbesondere große und alte Birnen, die man vor dem inneren Auge sieht, wenn man an Streuobstwiesen denkt, sind Hochstämme. Über 100 Sorten kommen so im Bestand von Naturcidre zusammen, darunter auch Raritäten wie Généreuse de Vitry, die dem Cider nachher Gerbstoff verleihen.

Wir trinken heute eine Flasche Palmischbirne Poiré sec, also zwischen 17 und 35 Gramm Restzucker pro Liter, aus 2022 und eine Cuvée Réserve Extra-Brut, maximal 6 Gramm Restzucker, aus 2020. Die Palmisch ist gewissermaßen Bildungstrinken, da wir, wie letztes Jahr schon geschrieben, selber einen Baum auf die Wiese gesetzt haben. Hochstamm. Bis da genug Früchte dran hängen um Most draus zu machen wird zwar noch eine ganze Weile dauern, aber man kann ja schonmal vorschmecken. Der Arche Passagier macht jedenfalls den Eindruck das erste Standjahr okay überstanden zu haben. Die Birnen wurden, wie man auf dem Label lesen kann, spontan vergoren und dann in einer Gärung in der Flasche nach Méthode Ancestrale zum Blubber fermentiert. Es wurde weder gefiltert noch geschwefelt. Der eigenen Schusseligkeit ist es geschuldet, dass ich zur Cuvée Réserve nicht viel mehr schreiben kann, als man auf dem Bild sieht. Jahrgang 2020, Äpfel, Birnen, Extra-Brut. Sollte mehr Info auf dem Label gestanden haben, dann ist der Altglascontainer jetzt schlauer als wir. So ist das manchmal.

Die Palmisch ist extrem straff und startet mit einem winzigen bisschen flüchtiger Säure in der Nase. Da ist Birnenschale, etwas Kerniges, Kühle und viel Frische. Das ist insgesamt eher auf der kargen Seite der Dinge beim Riechen und schmeckt dann auch so. Viel Säure, genau so viel Frische wie schon beim Riechen und relativ wenig Gerbstoff dahinter. Da ist Zug drauf. Und wenn man das dann im Mund hat, dann erinnert er beim Riechen irgendwie an Saure Zungen. Die Grünen. Von denen, wie direkt gegenüber von mir behauptet wird, ja immer nur ganz wenige in der Packung seien und ich deshalb nur ein, zwei abbekäme. Ist klar. Man hält mich wohl für doofer als ich bin. Das Mundgefühl jedenfalls ist großartig. Das ist straff, schäumt dann sanft auf und wird dabei immer mehr zur Birne, leicht mürbe, mit toller Frucht. Da ist so viel Zug durch Säure und Schäumerei, dass einem der Restzucker in den ersten Momenten nicht wirklich auffällt und vermutlich ist der in jeder Flasche sowieso leicht unterschiedlich. Vielleicht haben wir auch eine relativ trockene erwischt. Liegen bleiben dann Honig und frisch geschnitte Birne. Das ist toll und ich hoffe jetzt noch mehr, dass der Baum gut anwächst.

Die Réserve hat vom ersten Moment im Glas an eine wunderschöne Frucht. Das riecht, wie ein Sack voll aufgelesenem Obst. Nur ohne den Jutesack. Mit Luft kommt immer mehr Birne ins Aroma und bekommt die Art von Zug, die man in Nur-Apfel-Schäumern nicht so oft findet. Da ist etwas Honig und etwas oxidierte Apfelschale. Falls sich jemand fragt, ob Obstschaumwein auch einige Jahre auf der Flasche überlebt? Ja, tut er. Da ist enorm viel Zug beim Trinken, knochentrockenes Tannin, sehr geradeaus, straff, druckvoll und intensiv. Viel geradliniger als man nach den ersten Momenten gedacht hätte. Und auch hier verändert das Trinken den Geruch, zieht ihn mehr zusammen, macht ihn straffer. Wenn man dann nach ein paar Minuten wieder ins Glas riecht, dann ist er da wieder, der unglaublich schöne Fruchtkorb. Das ist schon eine ziemlich lustige Kombination, der Wohlfühlduft und die Extra-Brut Keule, die einem dann über den Kopf gezogen wird. Das wäre so ein Kandidat fürs Anstoßen oder für nach der Weinprobe. Der weckt einem auch nach 15 verprobten Weinen die Zunge wieder auf. Frisch, null aufdringlich, null anstrengend und irgendwie auch einfach lecker.

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